Buchvorstellung: Das Leben und sein hinterhältiger Plan

06:00

Heute darf ich euch das neue tolle Buch von Sarah Saxx vorstellen! "Das Leben und sein hinterhältiger Plan" ist heute auf Amazon erschienen. Ich durfte es vorab lesen und kann es euch nur empfehlen! Hier findet ihr meine Rezension.


Du kannst dir vornehmen, was du willst. Das Leben hat seinen eigenen Plan …

Luna ist eine ehrgeizige Schülerin und zählt zu den besten Weitspringerinnen Kaliforniens. Eigentlich verläuft ihr Leben perfekt – immerhin überlässt sie nichts dem Zufall.
Doch dann ziehen neue Nachbarn ein und der gut aussehende Jasper bringt sie mit seinen flüchtigen Berührungen und seinem Zwinkern völlig aus dem Konzept. Dabei steht nicht nur der Highschool-Abschluss an, sondern auch die wichtigste sportliche Entscheidung ihres Lebens.
Vergebens versucht sie, sich darauf zu konzentrieren, doch Jasper hat sich längst in ihr Herz geschlichen. Gerade als sie bereit ist, sich auf ihre Gefühle einzulassen, reißt das Leben ihr den Boden unter den Füßen weg. Luna verliert den Glauben an sich, an Jaspers Zuneigung und an die Gerechtigkeit des Schicksals. Kann es überhaupt noch eine Chance für ihre Liebe geben?

Und hier habe ich noch den Link zum Trailer für euch.




Leseprobe


Eins 

Es ist ein ganz normaler Samstag im Februar in meinem letzten Jahr an der Highschool, als vor dem Nachbarhaus ein großer Lastwagen hält und dahinter ein schicker Mercedes parkt. Sofort öffnen sich die Türen beider Wagen. Aus dem Lkw springen kräftige Männer in einheitlichen Shirts und Kappen auf den Rasen und beginnen sofort, Möbelstücke über das Grün zu tragen, während eine Bilderbuchfamilie mit freudigem Lächeln aus dem silbernen Auto auf ihr neues Heim zusteuert. Sie könnten einer Werbung für das Coastal Living Magazine entsprungen sein, denke ich und muss schmunzeln. Die Frau hat ihr blondes Haar perfekt geföhnt und trägt ein blassrosa Poloshirt zu Jeans mit Schuhen im selben Farbton. Ihr Mann hat sich als Pendant dazu für ein dunkelblaues Poloshirt entschieden (oder hat es seine Frau für ihn ausgesucht?). Seine Haare sind dunkelbraun und an den Seiten grau meliert. Ich bin mir sicher, meiner Mutter gefällt er, denn er sieht Pierce Brosnan sehr ähnlich, und den himmelt sie an wie ein Teenie, was meinen Vater irritierenderweise keineswegs stört. Aus dem Fond des Wagens klettert ein vielleicht zehnjähriger, blonder Junge mit – welch Wunder – ebenfalls blauem Poloshirt. Ich kann meine Mutter bildlich vor mir sehen, wie sie auf die Straße schielt und ein zweites Mal innerhalb weniger Sekunden lächelnd seufzt. Mit einem zufriedenen Kopfnicken wende ich mich wieder meinen Büchern zu. Die neuen Nachbarn sind auf den ersten Blick genauso wie erwartet: wie wir. Gutbürgerlich, gut situiert. Gesittet. Eine nette Familie, mit denen sich meine Eltern bestimmt anfreunden wird. Doch dann nehme ich aus den Augenwinkeln eine weitere Bewegung wahr. Ich wende mich von meinen Lernunterlagen noch einmal ab und richte meinen Blick erneut auf den Mercedes. »Verdammt!«, kommt es mir über die Lippen und sofort halte ich mir die Hand vor den Mund. Ein weiterer Junge steigt aus dem Wagen und … er passt irgendwie nicht so recht in dieses perfekte Bild der Vorzeigefamilie. Er ist ungefähr in meinem Alter, doch sonst haben wir auf den ersten Blick so gar nichts gemeinsam: Lange blonde Strähnen hängen ihm über sein rechtes Auge, während die restlichen, kurzen Haare unter einer schräg sitzenden Baseballkappe verschwinden. Er trägt ausgewaschene Jeans, die er hochgekrempelt hat, dazu ein verwaschenes, weißes Shirt, von dem mir Mickey Mouse entgegenlacht. Darüber hat er eine schwarze Sweatjacke an, die irgendwie schlampig wirkt. Doch den Vogel schießen seine Boots ab, die völlig locker an seinen Füßen sitzen, als er mit ihnen über den Rasen schlurft. Ich meine, hallo? Kann man die Schuhe denn nicht einfach ordentlich zubinden? Oder habe ich einen Trend verpasst und es gehört zum guten Ton, Kleidung zu tragen, die man jeden Moment verlieren kann? Genervt knalle ich das Buch zu, nicht ohne zuvor ein Lesezeichen hineinzulegen, und stehe auf. Meine Konzentration ist passé. Dieser kaugummikauende Macho kommt sich vermutlich besonders unwiderstehlich vor. Bereits zum zweiten Mal schleudert er die Strähne vor seinem Auge mit einer schwunghaften Kopfbewegung aus dem Gesicht, bevor sie sofort wieder an ihrem Ursprungsort landet. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Gerade mal vierzig Minuten habe ich gelernt. Viel zu wenig. Doch ich muss mich vergewissern, ob dieser … Freak … tatsächlich zu der Familie gehört oder ob er nur … Tja. Ehrlich, ich habe keine Erklärung dafür, wie dieser Kerl sonst zu den anderen dreien passen könnte. Deshalb verrenke ich mir beinahe den Hals, als ich mich über den Schreibtisch lehne und aus dem Fenster starre. Tatsächlich. Kurz vor dem Haus bleiben die vier stehen und der Vater legt seiner Frau und diesem Kerl die Arme um die Schultern. Der kleinere Junge schmiegt sich an seine Mama und zusammen sehen sie … nun … nicht mehr wie eine perfekte Familie, aber eben wie eine Familie aus. Sie schauen den Möbelpackern zu, wie sie den Laster entladen und das Mobiliar und Umzugskisten ins Innere des Hauses tragen. »Verdammt«, fluche ich nun ein zweites Mal und eile aus meinem Zimmer. Ich muss sofort meine Eltern suchen, die die Neuankömmlinge vielleicht noch gar nicht bemerkt haben. Im Wohnzimmer kann ich die beiden aber nicht entdecken, nur zwei halb volle Gläser Limonade stehen auf dem Couchtisch. Gerade als ich weiter durch das Haus gehen und nach den beiden rufen will, bemerke ich die geöffnete Terrassentür. Stimmen dringen aus dem Garten herein. Na klar. Natürlich haben meine Eltern die neuen Nachbarn schon entdeckt und sind auch gleich nach draußen, um sie zu begrüßen. Kurz zögere ich, ob ich mich ebenfalls dazugesellen soll. Eigentlich habe ich keine Lust, diesem Macho gegenüberzutreten. Doch mich heimlich wegzuschleichen ist auch nicht meine Art – noch dazu, wo ich mir nicht sicher bin, ob mich die Nachbarn nicht bereits durch die Glasscheiben entdeckt haben. Also atme ich tief durch, versuche mich an meinem besten Zahnpasta-Vorzeigelächeln und gehe über die Steinstufen hinab zu meinen Eltern. »… und sie kann zwischen der University of Oregon und Harvard wählen. Aber im Grunde redet sie schon, seit sie ein kleines Mädchen ist, dass sie irgendwann mal an der Harvard Law School studieren will, um später Anwältin zu werden«, höre ich meinen Vater eben mit stolzgeschwellter Brust sagen. Ich verdrehe die Augen, denn ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn er mit mir prahlt. Außerdem habe ich mich noch gar nicht entschieden, welchen der beiden Wege ich einschlagen werde. Im Moment hat der Sport oberste Priorität und laut meinem Trainer habe ich verdammt gute Chancen, ganz nach oben zu kommen. Da macht es nur Sinn, auf die University of Oregon zu gehen, die einen besonders guten Ruf hat, was die Förderung und das Training von Leistungssportlern betrifft. Doch meine Eltern scheint das nicht zu interessieren, sie sind fest davon überzeugt, dass ich meinen Kindheitstraum auch weiterhin verfolgen werde. »Daddy!« Scham schwingt in meiner Stimme mit, was mich noch mehr ärgert, denn dieser Möchtegern-Macho grinst mich dabei schief an. »Komm her, Luna, wir möchten dir unsere neuen Nachbarn vorstellen.« Meine Mom legt ihren Arm um mich und schiebt mich somit in den Vordergrund. »Das sind Cindy und Daniel Elliot mit ihren Söhnen Michael und Jasper.« Ich nicke höflich und murmle ein »Freut mich, Sie kennenzulernen«. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, antwortet Cindy. »Du dürftest ungefähr in Jaspers Alter sein, denke ich. Es wäre natürlich schön, wenn er hier schnell Anschluss finden würde – vielleicht kannst du ihm ja helfen.«
Ich höre ein Schnauben aus seiner Richtung, und nun bin ich es, die grinst. Zwar bei Weitem nicht so schief wie er, aber ich kann es mir einfach nicht verkneifen. Seine Mutter klingt, als würde sie einen Spielkameraden für ihr Kleinkind suchen. Eltern können wirklich manchmal ziemlich peinlich sein … »Klar«, antworte ich nach einem kurzen Seitenblick auf ihn, obwohl ich mir bei Gott nicht vorstellen kann, wer von meinen Freunden zu ihm passen könnte. Doch er grinst nur belustigt und zwinkert mir zu. Ich spüre, wie ich rot werde, was mich ärgert. »Fantastisch!« Cindy strahlt mich an, als hätte ich ihr eben die Lottozahlen für heute Abend verraten. »Wisst ihr was? Ihr solltet heute Abend zum Essen zu uns kommen. Ihr seid herzlich eingeladen«, meint nun mein Dad hoch motiviert. »Melody macht eines ihrer berühmten Früchtedesserts. Bestimmt seid ihr müde nach dem langen Tag.« »Ja, es wäre mir ein Vergnügen, für euch zu kochen«, sagt nun auch meine Mom und übertrifft sich selbst mit ihrem strahlenden Lächeln. Während die Elliots dankend die Einladung meiner Eltern annehmen und sie sich zwecks der Uhrzeit und den Getränken absprechen, verziehe ich mich entschuldigend und bin froh, als ich endlich meine Zimmertüre hinter mir schließen kann. Ich lasse mich auf das Bett fallen und schreie kurz in eines der Kissen, ehe ich mich wieder aufsetze und den Kopf schüttle. Wieso in aller Welt muss unbedingt so ein Freak wie Jasper nebenan einziehen? Wieso kann es nicht einfach ein nettes Mädchen sein … oder von mir aus auch ein Junge. Ein normaler Junge! Jasper sieht so aus, als wäre er … keine Ahnung … völlig von sich und seiner Wirkung auf Mädchen überzeugt? Okay, er sieht wirklich gut aus, aber er weiß, dass es so ist, und genau das macht ihn unsympathisch. Vielleicht ist er sogar der Meinung, dass er sich durch seinen übertrieben lässigen Stil von seiner Familie abheben muss, um bei seinen Kumpels gut anzukommen. Und er scheint sich für besonders cool zu halten, so wie er gegähnt hat, als mein Vater erwähnt hat, dass ich die Wahl zwischen Harvard und Oregon habe. Für ihn sind vermutlich nur Langweiler und Streber auf jenen Universitäten, die für ihn bestimmt unerreichbar bleiben. Dabei hat er doch keine Ahnung! Schnaubend stehe ich auf und tigere durch mein Zimmer. Mir graut es davor, mich später mit ihm an einen Tisch setzen zu müssen und ihm beim Essen in sein selbstgefälliges Grinsen zu blicken. Oder ihn dabei beobachten zu müssen, wie er hier alles langweilig findet. Mich hätte es nicht gewundert, wäre er bei der Unterhaltung meiner Eltern einfach ohne etwas zu sagen gegangen. Sosehr ich mich auch bemühe, mein Gehirn will sich nicht mehr auf den Lernstoff konzentrieren. Dieser Jasper spukt mir zu sehr im Kopf umher. Aber noch länger in meinem Zimmer zu bleiben, um vielleicht doch noch etwas zu lernen, scheint zwecklos. Denn auch wenn mich seine von sich selbst überzeugte Art nervt, gehen mir seine blaugrünen Augen mit diesem intensiven Blick nicht mehr aus dem Kopf. Echt ärgerlich! »Mom? Kann ich dir in der Küche helfen?«, rufe ich hinunter. Ich höre, wie sie bereits vor sich hin summend begonnen hat, das Abendessen vorzubereiten. Das Messer klopft in regelmäßigen Abständen auf ein Holzbrett. »Nein danke, Liebes, ich komme zurecht. Aber ich melde mich, falls ich dich brauche.« Also schnappe ich mir seufzend und mit schlechtem Gewissen – weil ich weder lerne noch meiner Mom helfen kann – ein Buch und begebe mich mit einer dicken Jacke in den Garten. Es ist zwar relativ kühl im Februar, aber die Sonne scheint direkt auf unsere Terrasse, und ich liebe es, im Freien zu lesen. Vor der Garage höre ich meinen Dad, wie er seinen Wagen wäscht, um ihn anschließend auf Hochglanz zu polieren. Ihm meine Hilfe anzubieten, unterlasse ich jedoch. Sein SUV ist sein Heiligtum und nicht mal Mom darf ihm bei den Streicheleinheiten an seinem Auto helfen. Kurz schließe ich noch die Augen und strecke mein Gesicht der Sonne entgegen, dann schlage ich mein Buch auf und beginne zu lesen. Der Name der Rose lag viel zu lange auf meinem Stapel ungelesener Bücher. Heute will ich das endlich ändern. Es dauert nicht lange, und ich bin in der Geschichte versunken. Dass die Welt sich um mich weiterdreht, merke ich nur daran, dass der Schatten des Baumes in unserem Garten wandert und meine Beine langsam kalt werden. Leises Lachen dringt plötzlich zu mir und holt mich in die Realität zurück. Verwirrt hebe ich den Kopf und sehe, wie Jasper lässig die Hände am Zaun abgelegt hat und mich über die Bretter hinweg beobachtet. »Entschuldige?« Plötzlich fühle ich mich unwohl und frage mich, ob er mich schon länger beobachtet hat. Sein Blick gibt mir das Gefühl, bei etwas Schlechtem ertappt worden zu sein. Also lasse ich mein Buch gegen die Brust sinken, auch wenn meine Reaktion auf sein Lachen lächerlich ist. »Ich hätte wetten können, dass ich dich mit einem Buch in der Hand finde. War klar, dass du bei jeder freien Minute deine Nase in Bücher steckst.« Er gluckst und ich koche innerlich. Ich habe es gewusst, der Kerl bringt mich auf die Palme. »Dann hätte ich wohl auch wetten sollen!«, antworte ich mit leichter Ironie in der Stimme. Fragend hebt er eine Augenbraue. »Dass ein arroganter Schönling wie du sich natürlich immer sofort ein Urteil bildet und anderen Menschen keine Chance gibt, sie besser kennenzulernen.« Sein lautes Lachen macht mich noch wahnsinniger, und ich hebe demonstrativ wieder mein Buch, um weiterzulesen. »Du findest mich also scharf und willst mich besser kennenlernen? Das können wir gern ändern, Baby.« Entsetzt starre ich ihn über den Buchrand an und er zwinkert mir zu. »Ich … nein! Das hab ich nicht gesagt.« Meine Wangen werden heiß, und ich ärgere mich noch mehr, doch diesmal über mich selbst. Wieso macht mich dieser Typ so nervös? »Wie jetzt? Also doch nicht? Dann gehörst du also ebenfalls zu jenen, die anderen keine Chance lassen, sie besser kennenzulernen?« »Was …? Also … Du drehst mir die Worte im Mund um!«, maule ich, bevor ich aufstehe und Richtung Terrassentür eile. »Wo gehst du hin?«, ruft er mir nach. »Weg von dir.« Wieder lacht er und ruft mir noch ein »Bis später« hinterher, was mich daran erinnert, dass wir gleich gemeinsam an einem Tisch sitzen werden. Es duftet bereits herrlich nach dem Braten, den meine Mom in den Ofen geschoben hat und zu dem mein Vater eben ein paar Kräuter aus dem Garten gibt, als die neuen Nachbarn – natürlich vollzählig – zu uns kommen. Nach meiner Flucht vor Jasper war ich nur kurz bei meiner Mom in der Küche, doch sie hat mich gleich wieder hinausgescheucht und mich gebeten, den Tisch zu decken. Meine Eltern begrüßen unsere Gäste an der Haustür. Neugierig spähe ich aus dem Esszimmer in den Flur. »Melody, wenn es nur halb so gut schmeckt, wie es riecht, dann ist es ein fantastisches Essen. Kann ich dir noch etwas helfen?«, bietet sich Cindy an, die immer noch wie aus dem Ei gepellt aussieht. »Gern. Komm doch mit in die Küche«, bittet meine Mom sie und schon verstummen ihre Stimmen hinter der geschlossenen Tür. »Ein tolles Haus«, bemerkt Daniel anerkennend. »Der SUV sieht auch klasse aus. Ist der neu?« Mein Vater lacht verlegen und streicht sich durch das Haar. »Nicht mehr ganz. Ich habe ihn vor einem guten Jahr gekauft.« Er deutet auf die Wohnzimmertür und bittet Daniel, einzutreten, während Michael an ihm vorbeiläuft und »Mommy, warte!« ruft. Jasper bleibt unschlüssig im Flur stehen und sieht sich um. Reflexartig ziehe ich mich von dem Türspalt zurück und widme mich weiter dem Geschirr. Hoffentlich hat er mich nicht entdeckt … Ich habe ehrlich keine Lust auf seine Gesellschaft. Schon gar nicht länger als notwendig. Doch kaum bin ich mit dem Tischdecken fertig, betritt auch schon Jasper den Raum. Einen Augenblick überlege ich, mich auf dem Absatz umzudrehen und in mein Zimmer zu flüchten. Doch ich weiß, dass Mom im Grunde mit allem fertig ist und nur noch einen Dip anrührt. Außerdem wäre es völlig unfreundlich, schon wieder vor ihm davonzulaufen. Also versuche ich, ein halbwegs normales Gespräch zu beginnen. »Bist du das erste Mal in Walnut Creek?« Er nickt nur, lässt mich dabei jedoch nicht aus den Augen. Ich weiche seinem Blick aus. Mir wäre es lieber, er würde irgendetwas sagen. Doch peinliches Schweigen hüllt uns ein. Also versuche ich, mit einer weiteren Frage die angespannte Situation aufzulockern und ihn davon abzubringen, mich nicht so anzusehen. »Und … gefällt es dir hier?« 
Er hebt eine Augenbraue und mustert mich von unten bis oben, als hätte ich etwas ganz anderes gefragt. Sein Blick streift meine engen Jeans und das Sweatshirt mit dem breiten Halsausschnitt, das immer eine Schulter zeigt. Unsicher zupfe ich ihn zurecht. Jaspers Mundwinkel heben sich zu einem Grinsen. »O ja, sehr sogar.« Das darf doch nicht wahr sein, oder? Ist er wirklich so blöd oder tut er nur so? Ich schwanke noch zwischen Zunge zeigen und doch fluchtartig den Raum verlassen, als unsere Mütter hereinkommen, die Hände voller Schüsseln mit Soßen, Salaten und Beilagen. Michael tapst strahlend hinter ihnen her, einen großen Krug Limonade in den Händen, gefolgt von seinem Vater. »Das Essen ist fertig«, verkündet mein Dad unnötigerweise, der mit dem Braten auf der großen Servierplatte den anderen folgt. »Bitte nehmt doch Platz.« Meine Mom lächelt uns kurz zu, während sie in jede der Beilagen- und Soßenschüsseln einen Löffel gibt. Dann rückt sie einen Stuhl vom Tisch ab und bedeutet mir, mich zu setzen. Es ist mein Platz, hier sitze ich immer beim Essen, aber ich wollte heute eigentlich abwarten, wo Jasper sich setzt, um den von ihm am weitesten entfernten Stuhl zu wählen. Danke, Mom! Und wie erwartet wählt Jasper den Stuhl direkt mir gegenüber, sodass ich während des ganzen Essens gezwungen bin, ihn anzusehen. Gut, ich gebe mir beste Mühe, seinem Blick auszuweichen. Die meiste Zeit starre ich auf meinen Teller, doch ich spüre, wie sich sein Blick auf meiner Haut einbrennt. Und jedes Mal, wenn ich den Kopf hebe, grinst er mich an und zwinkert mir zu, so als ob er nur darauf gewartet hätte, dass sich unsere Blicke kreuzen. Ich lausche den Gesprächen, um nicht meinen Gedanken zuhören zu müssen, die Jasper verfluchen und gleichzeitig um ihn kreisen. Verrückterweise wirkt es, als wären unsere Eltern schon ewig Freunde. Sie unterhalten sich über ihre Jobs, über den Garten, die Nachbarschaft und über Chicago, dem ehemaligen Zuhause der Elliots. Ich erfahre, dass Daniel Anwalt ist, was mich dann doch noch hellhörig werden lässt, und dass die Familie wegen eines Jobangebots nach Walnut Creek gezogen ist, das er nicht ausschlagen wollte. Nun ist er Senior-Partner in einer Kanzlei in San Francisco. »Und wieso wohnt ihr dann hier und nicht in der Nähe der Kanzlei?«, fragt meine Mutter, die ihre Neugier nicht unterdrücken kann. Cindy und Daniel werfen sich einen kurzen Blick zu, während sich Jasper ein Stück Fleisch in den Mund schiebt, sich dann im Stuhl zurücklehnt und seine Eltern mustert, als wäre er selbst auf ihre Antwort gespannt. »Wir haben lange genug in der Großstadt gelebt. Wir wollten weg von dem Trubel, und die Kanzlei ist gar nicht so weit entfernt.« Cindy wirft ihrem Mann einen … dankbaren? erleichterten? … Blick zu und fügt hinzu: »Ja, hier ist es so ruhig und idyllisch. Und Jaspers Schule ist ganz in der Nähe. Nur Michael muss mit dem Schulbus fahren.« Dabei strahlt sie, während mir die Gesichtszüge entgleisen. »In w-welche Schule geht Jasper denn?« Ich stottere und laufe gleichzeitig rot an. »In die Berean Christian High«, antwortet nun Daniel und die Farbe, die eben noch in meinen Wangen war, verflüchtigt sich augenblicklich. Cindy wendet sich nun wieder an mich. »Ist das auch deine Schule?« Ich nicke nur langsam und verfluche diesen Tag. Nein, ich verfluche den Tag, an dem die Elliots beschlossen haben, das Haus nebenan zu kaufen. »Wie wunderbar«, quietscht sie und schlägt die Hände zusammen. »Dann könnt ihr ja gemeinsam zur Schule gehen.« Ich lächle, brauche dazu aber meine ganze Kraft. Viel lieber hätte ich laut »Nein!« geschrien. Als ich zu Jasper schiele, läuft mein Fass beinahe über. Eigentlich hätte ich es wissen sollen: Er grinst mich breit an und zwinkert mir zu. Gott, wie ich das hasse! Mir hat noch nie jemand zugezwinkert, und schon gar nicht mit so einem … selbstgefälligen Gesichtsausdruck. Und so oft an einem Tag, in nicht einmal einer Stunde! Ich lege mein Besteck zur Seite und stehe auf. »Wo willst du denn hin, Liebes?« Meine Mutter klingt verunsichert. Ich glaube, sie hat meine sinkende Stimmung bemerkt. Allen anderen scheint nichts aufgefallen zu sein, dazu ist mein Lächeln zu perfekt. »Ich hole noch etwas Limo.« Mit dem Kopf nicke ich zum fast leeren Krug. »Bleib sitzen, ich kann auch …« Doch ich ignoriere Cindy, bin schon auf dem Weg. In der Küche stelle ich den Glaskrug ab, stütze mich an der Arbeitsfläche ab und atme erst tief durch, bevor ich den Kühlschrank öffne, um Nachschub zu holen. Als ich die Tür wieder schließe, lasse ich beinahe die Limo fallen. Jasper steht vor mir, wieder mit diesem Blick, der mich förmlich auszuziehen scheint. »Was willst du?«, fahre ich ihn an und bin selbst über meinen scharfen Ton überrascht. Ich stelle die Limo ab und drehe mich mit verschränkten Armen zu ihm um. »Eis.« Seine Stimme ist rau und irritiert mich. Er geht auf mich zu und reflexartig mache ich einen Schritt zurück. »Hast du dein Glas mitgebracht?« Die Frage ist unnötig, denn ich sehe seine leeren Hände. Ohne zu antworten, kommt er näher. Viel zu nahe – er durchbricht meinen Wohlfühlbereich und ich spüre ein nervöses Kribbeln in meiner Magengegend. Langsam lasse ich die Arme sinken. »Ich will mehr«, flüstert er mit tiefer Stimme und verringert den Abstand zwischen uns erneut. Ich schlucke. Meine Augen wandern unruhig zwischen seinen hin und her, und ich zwinge mich dazu, den Blick nicht auf seine Lippen zu senken, als er sich mit der Zunge darüber leckt. »Was …?« Ich weiche zurück, spüre aber sofort die Arbeitsfläche hinter mir. Was heißt das, mehr? Will er mich jetzt küssen? Panisch überlege ich, wie ich reagieren soll. Will ich ihn küssen? Absolut gar nicht, oder? Oder doch? Er riecht gut, ganz leicht nach einem herben Parfum und ein klein wenig nach süßen Früchten. Und als ich langsam und verwundert seinen Duft einatme, spüre ich, wie ich meinen inneren Kampf verliere – ich schaue zu seinen glänzenden Lippen, die er leicht geöffnet und zu einem erwartungsvollen Lächeln geformt hat. Ich schlucke hart und bemerke, wie sich meine Zunge verselbstständigt und nun über meine Lippen streicht. Nur langsam kann ich den Blick von seinem Mund ablenken, doch ich weiß nicht, was ich tun soll, wie ich reagieren soll. Nach wie vor steht er unbeweglich vor mir und bewegt sich weder auf mich zu noch von mir weg. Doch seine Augen fixieren mich, als würden sie versuchen, in mir ein Geheimnis zu lüften. Jasper hat wirklich wunderschöne Augen, muss ich bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden feststellen. Blaugrün, wie ein See in den Bergen Kanadas, umrundet von einem Tannengrün. Darin entdecke ich kleine braune Sprenkel, die wie Holz in einem See treiben. Als sein Oberkörper sich an meinen presst, spüre ich, wie meine Knie zu zittern beginnen. Also das geht dann doch echt zu weit! Der kann doch nicht … Verkrampft halte ich mich an der Arbeitsplatte hinter mir fest und schwanke noch zwischen dem verwirrenden Gefühl, das seine Nähe in mir auslöst, und dem Drang, ihm eine Ohrfeige zu verpassen für die Dreistigkeit, mir so nahe zu kommen. Doch ehe ich eine Entscheidung treffen kann, keucht er auf. Mit halb geschlossenen Augen streckt er sich nach oben, lehnt sich gleichzeitig noch weiter vor, sodass sich unsere Nasen beinahe berühren und … zieht den Sektkühler von dem kleinen Regal zwischen Geschirrschrank und Kühlschrank herunter. »Der hier müsste genügen. Es ist so verdammt heiß im Esszimmer, der letzte Schluck war warm wie Pisse«, meint er mit einem Grinsen. Ich blinzle verwirrt, ehe mir bewusst wird, was hier eben passiert ist. »Idiot«, zische ich und versetze ihm einen Stoß, sodass er lachend zurücktaumelt. »Hier in der Küche ist es aber auch echt heiß«, meint er, als er mich mit durchdringendem Blick ansieht, und beißt sich dabei auf die Unterlippe. Kochend vor Wut schnappe ich mir die Limo und gieße sie mit zitternden Händen in den Krug. Jasper steht grinsend neben mir und befüllt den Sektkühler mit Eis direkt aus dem Gefrierfach. Schwungvoll öffne ich die Tür daneben und stelle die restliche Limonade an ihren Platz zurück, bevor ich mit dem Krug und erhobenen Hauptes wieder nach draußen marschiere.

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