Buchvorstellung: Ein Kuss für Clara

09:00

Sarah Saxx hat den zweiten Teil ihrer Greenwater Hill Reihe heraus gebracht. In "Ein Kuss für Clara" geht es um die Bürgermeisterin Clara Fontain, die wir auch schon im ersten Teil "Ein bisschen mehr als Liebe" kennen gelernt haben.

Kurzbeschreibung
Clara Fontaine, Bürgermeisterin des malerischen Städtchens Greenwater Hill, steht vor einer schwierigen Aufgabe: Die Einwohnerzahl muss steigen – sonst ist sie nicht nur ihren Job los, sondern ihre geliebte Heimat fällt auch noch dem schmierigen Bürgermeister des Nachbarorts in die Hände.

Doch das Wiedersehen mit ihrem ehemaligen Schulkollegen Aiden Fletcher, der sich auf liebenswerte Weise in ihr Herz schleicht, bringt Abwechslung in ihren gestressten Alltag. Und durch eine glückliche Fügung rückt auch die Rettung der Stadt und ihres Amtes in greifbare Nähe.

Alles scheint perfekt, bis Clara feststellen muss, dass Aiden nicht der ist, für den sie ihn gehalten hat. Diese Erkenntnis wirbelt nicht nur ihr Liebesleben durcheinander, sondern gefährdet auch ihre berufliche Mission …

Meinung:
Ich durfte diesen Teil wieder vorab lesen und bedanke mich vielmals bei Sarah Saxx dafür.
Auch dieser zweite Teil, der aber unabhängig vom ersten Teil gelesen werden kann, ist wieder sehr romantisch und wunderschön. Clara ist eine bewundernswerte Frau, die sich als Bürgermeistern von Greenwater Hill vor einer schier unlösbaren Aufgabe sieht. Aiden bringt eine wunderbaren neuen Aspekt in ihr Leben und sie genießt die Zeit mit ihm, bis sie erfährt, wer er wirklich ist.
Werden beide doch noch zueinander finden?
Auch diesmal hat mich Sarah wieder sofort in ihre Geschichte gezogen. Ich liebe ihren Schreibstil, der perfekt zu ihren Storys passt. Auch der Perspektivenwechsel, den sie verwendet lässt den Leser noch mehr mit den Protagonisten mit fiebern und ihre Gefühle und Beweggründe verstehen.
Wieder eine rundum gelungene Geschichte, die ich jedem nur empfehlen kann.

Leseprobe:

Eins – Clara

Tief in mir veränderte sich etwas. Das fühlte ich ganz deutlich. Die Eröffnung des Greenwater Grill war dabei nur ein Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein. Aber seit Chloe, meine kleine Schwester, ihren Freund Hugh davon überzeugen konnte, das schäbige Restaurantgebäude aufzukaufen und renovieren zu lassen, spürte ich nicht mehr diese unerträgliche Verzweiflung in mir, als ob es nichts gäbe, das diesen Zustand ändern könnte.
Die Eröffnungsfeier des wundervoll gelungenen Greenwater Grill, die in vollem Gange war, schien ein Erfolg zu sein. Meine Pflichttermine als Bürgermeisterin mit der Presse lagen hinter mir, ebenso die Rede, zu der auch Hugh Ward als Inhaber und Noah Baker als Geschäftsführer zu Wort gekommen waren.
Unzählige Leute aus Greenwater Hill waren erschienen, was mich sehr freute. Auch aus den umliegenden Städten waren viele gekommen, die ich ebenfalls kannte, unter anderem auch unseren Cousin Bruce aus Carlington, der seine Monkey Bar heute extra geschlossen hielt.
Der einsneunzig große Mann sah auch für mich, obwohl ich ihn schon als Kind gekannt hatte, zum Fürchten aus mit dem etwas fülligen Oberkörper und seinem langen Bart, der fast seine Brust berührte. Zudem war er an beiden Armen tätowiert und hatte Plugs in seinen Ohrläppchen, die diese inzwischen auf über zwei Zentimeter dehnten – ein Modetrend, den ich persönlich nicht ansprechend fand. Aber das alles sagte nichts über seinen Charakter aus. Bruce war ein herzensguter Mensch, und das wussten alle, die regelmäßig in seiner Bar ein und aus gingen.
»Nicht übel, Cousinchen, nicht übel.« Bruce legte in diesem Moment seinen Arm um meine Schultern, und ich war mir sicher, wir beide gaben ein ganz besonders seltsames Paar ab.
Nicht zuletzt, weil ich mindestens eineinhalb Köpfe kürzer war als er und wahrscheinlich gerade mal ein Drittel seiner Breite hatte. Dazu stand er mit zerschlissenen Jeans und Lederjacke neben mir, während ich in meinem schicken Country-Outfit mit karierter Bluse, kurzem Jeansrock und Cowboyhut den totalen Kontrast zu ihm bildete – nicht zuletzt, da ich mit meinen blonden Haaren und den blauen Augen laut Bruce seit Kindertagen aussah »wie ein kleiner Engel«.
»Danke, aber es ist ja nicht mein Verdienst …«
Die meiste Arbeit hatten Louise, meine gute Fee in Sachen Wirtschaftsförderung, sowie Noah und Hugh geleistet. Ich hatte nur meine Unterschrift unter alles setzen und die Eröffnungsrede halten müssen. Und nicht einmal für die hatte mir alleine der Applaus gegolten.
»Du bist wie immer viel zu bescheiden.« Er lachte kehlig und stupste mich an, was mich bei seiner Kraft und Größe in Kombination mit meinen Pumps beinahe zu Fall brachte. »Hoppla!« Wieder gluckste er, als er mich mit seinem massigen Arm auffing. »Da hat wohl jemand zu viel getrunken.«
Ich sah ihn mit schiefem Grinsen an, da er genau wusste, dass ich nie zu viel trank. Schon gar nicht, wenn ich als Bürgermeisterin in der Öffentlichkeit unterwegs war.
Bruce stellte sich vor mich und sah mich mit seinen braunen Teddybäraugen an.
»Ich würde mich ja gerne noch länger mit dir unterhalten, Clarissima, aber dahinten steht ein Typ, der dich schon die ganze Zeit mustert.« Er deutete über seine Schulter, als könnte ich darüber hinwegschauen. Liebevoll tippte er mir an die Nase und zwinkerte mir frech zu. »Viel Spaß beim Flirten, und tu nichts, was ich nicht auch täte.«
Er drehte sich um, mischte sich wieder unter die Menge und gab endlich die Sicht frei.
Mein Herz hatte unerklärlicherweise beschlossen, kräftiger zu schlagen, und kurz befiel mich eine kleine Welle der Nervosität. Suchend blickte ich in die Richtung, in die Bruce gezeigt hatte, und entdeckte im diffusen Licht am anderen Ende des Greenwater Grill einen Mann mit dunkelbraunen Haaren, der mich mit einem Lächeln auf den Lippen ansah. Er hob sein Glas zum Gruß, trank es leer und stellte es weg. Dann kam er direkt auf mich zu.
Aus irgendeinem Grund kam er mir bekannt vor, und doch war ich mir nicht sicher, woher. Was auch nicht ungewöhnlich war, denn ich kam erstens mit sehr vielen Leuten ins Gespräch – besonders seit meinem Amtsantritt vor vier Monaten – und hatte zudem ein peinlich schlechtes Gedächtnis, was Gesichter betraf.
Für einen Augenblick dachte ich, Bruce hätte sich getäuscht und ich mich auch. Nur weil ich die Bürgermeisterin war, bedeutete das nicht automatisch, dass jeder, der mich ansah, auch mit mir sprechen wollte. Im Gegenteil, es war sogar so, dass einige Menschen seit meinem Amtsantritt eher auf Abstand gingen. Was ich sehr schade fand, da ich mich als Person nicht verändert hatte. Es kam nicht selten vor, dass gerade ältere Leute mir mit viel mehr Respekt begegneten, was manchmal so weit ging, dass sie mich, die Achtundzwanzigjährige, nur noch verunsichert grüßten.
Einmal hatte ich die alte Mrs Landreth, Mutter des Bäckers, auf ihr Verhalten angesprochen. Ich dachte wirklich, dass die Einwohner mich nicht als Bürgermeisterin wollten, doch es stellte sich heraus, dass sie aus Hochachtung diese Distanz zu mir aufgebaut hatten und nicht mehr wussten, wie sie nun mit mir reden sollten und was sie mir erzählen konnten und was nicht.
Doch dieser Mann mit den nach oben gestylten Haaren fixierte mich immer noch mit seinem Blick, während er sich gezielt durch die Menge schob. Und nicht nur das. Als er vor mir stand, lächelte er mich herzlich an.
»Gratuliere zu deinem Erfolg, Clara. Ich ahnte schon früher, dass in dir etwas Besonderes steckt.«
»Ähm … kennen wir uns?«, fragte ich freundlich, aber irritiert und musterte den Mann nun genauer. Seine tiefgrauen Augen blitzten belustigt. Seine Lippen waren sinnlich und weich, und ein leichter Bartschatten zierte sein Gesicht. Er sah richtig gut aus, und diese Tatsache machte es völlig nebensächlich, dass er schwach nach Alkohol roch. Das taten hier vermutlich die meisten Gäste, und er wirkte nicht betrunken, sondern nur etwas angeheitert.
»Klar doch.« Er zwinkerte mir frech zu. »Aiden. Wir sind gemeinsam zur Schule gegangen.«
»Aiden?« Ich durchwühlte mein Gedächtnis, und dann tauchte vor meinem inneren Auge ein hagerer Junge mit hässlicher Brille und Zahnspange auf. »Doch nicht etwa … Aiden Fletcher?«, fragte ich zweifelnd. Dieser Junge, an den ich mich erinnerte, sah dem attraktiven Mann vor mir nur ganz entfernt ähnlich. Okay, eigentlich waren nur die Haare in demselben dunklen Braunton. Und die Augen … ja, die waren so grau wie die Aiden Flechters.
Der Mann schmunzelte. »Ja, genau der.«
Ich lachte kurz auf. »Ich fass es nicht! Wie geht es dir? Was machst du so? Ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Du bist doch mit deiner Mutter weggezogen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, oder?«
»Ja, aber nur nach Vernon. Also nicht ans andere Ende der Welt. Und wieso bist du davon ausgegangen, dass wir uns nie mehr über den Weg laufen werden?«
»Ich weiß nicht«, gab ich ehrlich zu. »Irgendwie machte es damals den Eindruck, als hättest du von Greenwater Hill die Schnauze voll.«
Wir waren, glaube ich, gerade mal sechzehn, als er von hier wegzog. Tatsächlich fand ich es schade, denn obwohl er ein unscheinbarer Junge gewesen und von den meisten anderen gehänselt worden war, hatte ich immer gerne Zeit mit ihm verbracht und mochte ihn. Sehr sogar.
»Das dachten bestimmt viele. Und ich bin ja auch nicht wieder ›zurück‹, sondern nur ab und an hier. Das war nie anders. Also ich meine … ich war nie wirklich ganz weg, Clara.« Der Schalk lachte ihm aus den Augen, doch ich fühlte mich leicht gekränkt. Nicht nur einmal hatte ich an ihn gedacht, nachdem er Greenwater Hill verlassen hatte.
»Schade, dass ich dich nie gesehen habe. Ich hätte mich wirklich gefreut«, bemerkte ich nicht ohne enttäuschten Unterton, was mich ärgerte. Ich atmete tief durch. »Und heute bist du extra zur Eröffnung des Greenwater Grill gekommen und warst der Ansicht, dass du dich jetzt zu erkennen geben kannst? Ich fühle mich fast ein bisschen geehrt«, sagte ich, schon wieder mit etwas mehr Leichtigkeit in der Stimme.
»Clara, ich bin ja auch nicht nur wegen des Restaurants in Greenwater Hill.« Seine Stimme klang tief und geheimnisvoll, und ein Beben breitete sich in mir aus, das mich verwirrte.
Er langte nach Sektgläsern, die ein Kellner auf einem Tablett vorbeitrug, und hielt mir eines entgegen. Eigentlich wollte ich dankend ablehnen, da ich schon zwei Gläser hatte. Doch ich hatte beide nach der Hälfte weggestellt. Also griff ich danach, und wir prosteten uns zu.
»Ach ja? Wenn die Eröffnung nicht der alleinige Grund ist, was ist dann der andere?«, fragte ich heiser.
Aiden trank einen Schluck, dann stellte er sein Glas auf den Tisch neben uns. »Ich besuche wie immer meinen Großvater.«
Er sah mir so tief in die Augen, dass ich schlucken musste. Dabei klang er, als würde er mir ein Geheimnis anvertrauen, denn er hatte sich in meine Richtung gebeugt und die Stimme gesenkt, als sollte nur ich ihn verstehen.
Trotzdem war ich enttäuscht.
Was idiotisch war …
Was hatte ich auch erwartet? Dass mir dieser Mann, den ich zuletzt vor über zehn Jahren gesehen hatte, eröffnen würde, er sei nur deshalb hierhergekommen, um mich zu sehen? Dazu hätte er nicht erst so lange Zeit verstreichen lassen müssen. Immerhin war ich seit meinem Collegeabschluss schon wieder über fünf Jahre zurück.
Davon auszugehen, dass Aiden, nachdem er vom unscheinbaren Durchschnittstypen zu diesem attraktiven Mann geworden war, sich auf der Suche nach mir befand, war mehr als lächerlich.
Doch diese seltsame Enttäuschung hatte die Spannung zwischen uns nicht zum Negativen verändert. Im Gegenteil. Aidens Blick schien mich zu hypnotisieren, und ich konnte immer noch nicht glauben, dass er der unglückliche Junge mit der Brille und der Zahnspange war.
Die Luft zwischen uns schien zu flirren, und ganz automatisch kam ich Aiden noch einen Schritt näher.
»Und wieso habe ich dich dann noch nie gesehen?«, fragte ich ihn leise.
Sein Blick fixierte einen Punkt in der Ferne, und er runzelte die Stirn.
Obwohl ich nicht genau wusste, warum, empfand ich diesen Augenblick als sehr … prickelnd und aufregend. Ich holte tief Luft und roch sein leichtes Parfum. Ich mochte es. Es erinnerte mich an frische Minze und hatte trotzdem etwas Süßliches an sich wie Mandarine.
Für einen Moment schloss ich die Augen, weil mich seine Nähe und sein Duft so aus dem Konzept brachten. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich den Abstand zwischen uns verringerte. Mein Herz flatterte wie ein aufgebrachtes Vögelchen in meiner Brust, und meine Hormone entwickelten ein Eigenleben.
Schnell dachte ich wieder an diesen schlaksigen Jungen, der ständig mit Zeige- und Mittelfinger die Brille an der Nase nach oben geschoben hatte, in der Hoffnung, diese Erinnerung würde mich beruhigen – und vor allem ablenken von meinem Gefühlschaos. Doch als ich die Augen wieder öffnete, sah ich wie fasziniert auf Aidens Lippen, die er gerade mit seiner Zunge befeuchtete.
Himmel!
Ich schluckte die aufsteigende Hitze nach unten und blinzelte nach oben. Was auch nicht wirklich hilfreich war. Denn dort warteten seine Augen, die in allen möglichen Grautönen schillerten wie kostbare Edelsteine.
Ich war froh, dass er nicht zu bemerken schien, wie seine Nähe mich aus dem Konzept brachte. Das wäre mir doch etwas peinlich gewesen.
Es vergingen sicher einige Sekunden, bis er meine Frage beantwortete. »Niemand sollte mich sehen, Clara.«
Der verbissene Unterton in seiner Antwort machte mich stutzig.
»Und … wieso nicht?« Unsicher sah ich zu ihm hoch und konzentrierte mich auf den Schatten, den ich dachte, kurz in seinen Augen aufblitzen gesehen zu haben.
Aiden musterte mich erst, dann hoben sich seine Mundwinkel zu einem traurig wirkenden Lächeln. »Es gab einen guten Grund dafür, Clara. Ich hatte keine Lust, den ›netten‹ Schülern von damals auch nur ein einziges Mal über den Weg zu laufen. Du erinnerst dich noch an Berny Peterson und Co.?«
Ich nickte nur.
Berny Peterson. Alle hatten während unserer gemeinsamen Schulzeit Respekt vor diesem Kerl gehabt, der – aus heutiger Sicht betrachtet – wahrscheinlich seine eigenen Schwächen durch sein Alphatiergehabe kompensieren wollte. Er scharrte allerhand Raufbolde um sich und verschaffte sich bei den Schülern auf seine Art Respekt – und dabei spielte es keine Rolle, ob sie größer oder kleiner oder sogar älter waren als er.
Berny brauchte leichte Opfer: Schüler, die er dissen und verprügeln konnte, wie es ihm gefiel, um allen klarzumachen, dass sie es sich mit ihm nicht verscherzen sollten. Und Aiden war wohl eine seiner liebsten Zielscheiben. Niemand wagte es, sich Berny Peterson und seiner Gang zu widersetzen. Vielleicht war das mit ein Grund, weshalb Aiden auch von anderen Schülern gemieden wurde und nie Freunde fand. Aus welchem Grund auch immer hatte Berny Peterson es allerdings akzeptiert, dass ich Aiden als Einzige zur Seite stehen durfte.
Seit ich zurückdenken konnte, hatte Berny es auf ihn abgesehen. Er schien Aiden richtiggehend zu hassen, denn er sorgte auch dafür, dass sämtliche andere Gruppierungen an der Schule gegen den Jungen waren.
Aiden tat mir schrecklich leid. Die meiste Zeit zog er alleine herum, dabei hielt ich ihn schon damals für einen wirklich netten, freundlichen und interessanten Menschen.
Diese ganze Sache war der Grund, weshalb Aiden nie wirklich gesellig war, und seine menschenscheue Schüchternheit erledigte den Rest. Heute schien das anders zu sein – so mein erster Eindruck. Doch ich konnte auch verstehen, dass er seit seinem Umzug immer auf direktem Weg zu seinem Großvater gefahren war. Er hatte sich hier dank Berny Peterson nie zu Hause gefühlt. Wen sonst hätte er also besuchen sollen?
Langsam verzog sich der dunkle Schatten aus seinem Gesicht, und mit einem Lächeln gestand er: »Ich bin gern bei meinem Grandpa.«
Anschließend nahm er sein Glas vom Tisch und trank es in einem Zug leer. Als er sich mir wieder zuwandte, wirkte er gefasst und so, als ob nichts gewesen wäre, während ich die dunklen Gedanken an unsere Jugendzeit noch nicht ganz vertreiben konnte.
Ich schüttelte unmerklich den Kopf und kam langsam wieder im Greenwater Grill an. Nahm das Stimmengewirr, das Gelächter und die Musik wahr.
»Aber du lebst immer noch in diesem verschlafenen Nest. Eigentlich dachte ich, dass du eine der Ersten wärst, die von hier weggeht.« Aiden sah mich interessiert an.
»Tja, der Meinung waren wohl viele.« Ich schmunzelte. »Doch als ich in Colorado Springs auf dem College war, ist mir klar geworden, dass Greenwater Hill meine Heimat ist. Ich wusste einfach, dass ich hierbleiben muss. Du glaubst gar nicht, wie ich die ganze Zeit während des Studiums die Wälder und die ruhige Umgebung vermisst habe. Und natürlich meine Familie.«
Dass ich damit nur meinen Dad und Chloe meinte, erwähnte ich nicht. Auch nicht, dass meine Schwester mittlerweile das ganze Land und einen Ozean zwischen uns gebracht hatte, als sie vor über zwei Jahren nach London gegangen war.
»Und dann hast du alles darangesetzt, um Bürgermeisterin zu werden?«
Ich war mir sicher, dass er seine Frage nicht ganz ernst gemeint hatte, denn er schmunzelte und wackelte mit den Augenbrauen.
»Genau. Es war schon immer mein Traum gewesen, über Tausende von Leuten Macht zu haben und eine Stadt zu beherrschen. Mein nächstes Ziel ist es, die Weltherrschaft an mich zu reißen.«
Heiliger Bimbam, woher kam denn dieser Schwachsinn? Schnell trank ich auch mein Glas leer und hoffte, es würde mein Gemüt kühlen. Wobei das eher unwahrscheinlich war bei dem Alkohol, der sich langsam in meinem Blut ausbreitete.
Doch Aiden lachte herzlich und warf dabei seinen Kopf in den Nacken. »Also jetzt weiß ich wieder, was ich die letzten zwölf Jahre vermisst habe. Weltherrschaft … Das muss ich mir merken!«
Immer noch lachend, lehnte er sich am Stehtisch an, der eben frei geworden war. Zögerlich stellte ich mich an die gegenüberliegende Seite. Aiden drehte sich zu mir um und beugte sich über den Tisch. Und ehrlich, ich war froh, einen kleinen Sicherheitsabstand zwischen uns zu wissen. Falls es Aiden aufgefallen war, dass ich dieses bisschen Distanz brauchte, bevor ich völlig austickte und noch mehr Blödsinn laberte, so sagte er nichts.
»Warte! … Du bist doch hoffentlich kein Journalist und verwendest diese Worte von mir für deine Titelstory?«, erkundigte ich mich mit akutem Herzrasen. Ich hätte dieses Glas Sekt nicht mehr trinken sollen …
»Keine Sorge, Süße, dein Geheimnis ist bei mir sicher.« Ohne Vorwarnung streichelte er mir zärtlich über die Wange. Für einen Moment hielt ich den Atem an.
»Aber eines musst du mir verraten …«
Nun machte er wieder einen Schritt auf mich zu, dass er ganz nah vor mir stand. Seine Lippen streiften jetzt fast die Stelle im Gesicht, an der er mich eben noch berührt hatte. Diese kribbelte, als wäre eine Armee von Marienkäfern darüber hinweg gekrabbelt.
»Wenn du die Weltherrschaft an dich reißt … machst du das dann in diesem sexy Cowgirl-Outfit?« Er sah an mir herab, und sein Blick sorgte dafür, dass mir noch heißer wurde. »Oder gibt es davon noch eine Steigerung?«
Mein Kiefer klappte auf. Ich starrte Aiden an und fragte mich ernsthaft, ob ich mich verhört hatte oder ob das am Alkohol lag.
»Wie bitte?«, keuchte ich.
Aiden schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Hand über den Nacken. »Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen. Vergiss es einfach … Du verwirrst mich, Clara, genauso wie damals.« Er lachte kurz verlegen auf und sah sich um. Dann richtete er seine Augen wieder auf mich. »Es gibt Dinge, die ändern sich anscheinend nie …«
Seine Worte irritierten mich. »Entschuldige, aber … das … versteh ich jetzt nicht.«
»Gott, Clara …« Aiden fuhr sich mit der Hand durch seine Haare, die jetzt richtig verwuschelt aussahen. Mir gefiel dieser Out-of-Bed-Look sehr, und am liebsten wäre ich auch noch mal durch seine kurzen Haare gefahren. Mein Gott! Ich musste mich echt zurückhalten und auf unser … Gespräch konzentrieren.
Dass ich ihn attraktiv fand, sah man mir hoffentlich nicht schon von Weitem an – so etwas gehörte sich bestimmt nicht für eine Bürgermeisterin in der Öffentlichkeit. Da spürte ich bereits seinen warmen Atem ganz nahe an meinem Ohr. Sein Bartschatten kitzelte an meiner Wange und jagte mir ein aufregendes Kribbeln über den Rücken. Wie nur sollte ich so meine Seriosität als Bürgermeisterin von Greenwater Hill wahren?
»Du hast wohl keine Ahnung, wie sexy du bist, oder?«, hörte ich ihn murmeln.
Eigentlich hatte ich wissen wollen, welche Dinge sich niemals änderten – aber das war in diesem Augenblick völlig nebensächlich. Seine Stimme war rau und kratzig, sein Atem schnell und heiß. Dann drehte er den Kopf, ganz leicht nur, und seine Lippen strichen über die empfindliche Haut an meinem Kinn. Die Wirkung dieser scheinbar zufälligen Berührung war … überwältigend.
Doch das durfte nicht passieren. Nicht hier, inmitten der ganzen Leute, die die Eröffnung des Greenwater Grill feierten. Ich hatte das Gefühl, als würde man einen Scheinwerfer auf mich richten.
Hitze stieg mir ins Gesicht, als ich viel zu rasch zurückzuckte und Abstand zwischen uns brachte. Mein Herz raste, meine Lungen schrien nach Sauerstoff, den ich gar nicht so schnell in sie hineinsaugen konnte, wie ich ihn benötigte. Meine Hände kribbelten, genauso wie meine Nasenwurzel, und ein verräterisches Ziehen in meinem Schoß ließ meine Knie zittern.
Zum Glück erkannte ich meine Schwester an der Bar, die in diesem Augenblick lachte und zu mir her sah. Sie winkte mir, und ich klammerte mich daran wie an einen Rettungsanker. Ob diese Aktion nun schlau war oder das Bescheuertste, was mir einfallen konnte, war mir in diesem Moment egal.
»Bitte entschuldige, Aiden … meine Schwester hat mich eben zu sich gewunken.« Okay, so was Ähnliches. »Hat mich gefreut, dich wiederzusehen.«
Und als wäre der Teufel hinter mir her, eilte ich weg und ließ den völlig verdutzten Aiden einfach stehen.

»Wer war denn dieser heiße Typ eben?«, fragte Chloe, kaum, dass ich bei ihr stand und nach einem Glas Wasser griff, das ich in einem Zug leerte, in der Hoffnung, damit das Feuer in mir zu löschen. Sie beobachtete mich dabei mit hochgehobenen Augenbrauen und wartete geduldig meine Antwort ab.
»Das war Aiden Fletcher. Wir waren mal gemeinsam an der Highschool, bis er dann mit sechzehn von hier weggezogen ist.« Meine Stimme klang etwas atemlos.
»Warte.« Sie warf einen suchenden Blick über meine Schulter in Aidens Richtung. »Aiden? Du meinst diesen seltsamen Kauz mit Brille und Zahnspange, der immer alleine herumgezogen ist?«
»Genau der«, flüsterte ich, aus Angst, es könnte uns jemand belauschen.
»Gott, Clara, der sieht aber gar nicht mehr eigenartig aus, im Gegenteil.« Chloe blickte mich mit großen Augen an.
»Ich weiß«, antwortete ich und seufzte.
»Wieso bist du dann hier und nicht mehr bei ihm?« Wieder sah sie an mir vorbei, jedoch scannte sie nun das Greenwater Grill in breiterem Bogen. »Jetzt ist er weg!«, rief sie dann aus und rutschte von ihrem Barhocker, um sich noch einmal genauer umzusehen.
Ich konnte der Neugierde in mir nicht länger widerstehen und drehte mich auch um. Doch der Stehtisch, an dem ich mich eben noch mit Aiden unterhalten hatte, war inzwischen von anderen Leuten besetzt. Von Aiden fehlte jede Spur.
»So ein Mist!«, hörte ich mich fluchen, und Chloe nickte bestätigend.
»Das kannst du laut sagen. Ich hoffe, du hast wenigstens seine Telefonnummer?«
Ich. War. So. Eine. Idiotin!
»Natürlich nicht.« Ich seufzte und steckte damit Chloe an.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal zu dir sagen würde, aber … wenn du so weitermachst, wirst du als einsame, alte Katzenfrau sterben.«
»Und dabei habe ich noch nicht einmal Katzen.« Jetzt war mir richtig zum Heulen zumute.
»Aber du weißt, wie er heißt und wo er wohnt, oder? Du könntest ihn doch übers Internet suchen.«
»Ach, ich weiß nicht …«
Chloe baute sich vor mir auf und sah mir tief in die Augen. »Clara, bitte sieh mich an und hör mir jetzt gut zu! Du weißt, wie die Sache mit Hugh und mir damals gelaufen ist. Beinahe hätte ich alles in den Sand gesetzt, und nur, weil du auf Hughs Seite gestanden hast und mir nichts von seiner Suche nach mir verraten hast, bin ich heute so glücklich wie noch nie. Ich bin verliebt bis über beide Ohren, und willst du wissen, was ich daraus gelernt habe?«
Perplex schüttelte ich den Kopf.
»Gib bloß nicht gleich wieder auf. Du lässt dir damit womöglich die Liebe deines Lebens entgehen.« Gleichzeitig richtete sie ihren Blick auf Hugh, der ein paar Meter von uns entfernt stand und sich mit Noah Baker, dem Freund meiner Mitarbeiterin Louise, unterhielt. Dabei hatte sie Herzen in den Augen, und ich wusste, meine Schwester hatte recht. Zumindest, was ihre Liebe für diesen Mann betraf. Und vielleicht sogar, was den Rest anbelangte …
»Okay, ich werde ihn suchen.«
»Hand drauf?« Sie streckte mir ihre entgegen, und fast wunderte es mich, dass sie nicht vorher hineingespuckt hatte, so, wie wir es als Kinder immer getan hatten, wenn wir einen Schwesternschwur aussprachen.
Ich schlug ein. »Hand drauf.«

Als ich mich zirka eine Stunde später von der Feier zurückzog und nach Hause kam, war mein erster Weg der zum Computer. Claras Idee, Aiden zu googeln, ließ mich nicht mehr los.
Doch ich fand keinen Aiden Fletcher in Vernon. Auch, wenn ich nur seinen Namen eingab, konnte ich niemanden finden, auf den diese Beschreibung passte. Und das frustrierte.
Auf dem Weg ins Bad schrieb ich meiner Schwester, die mit Hugh für die paar Tage Aufenthalt in Greenwater Hill bei unserem Vater wohnte, eine Nachricht:

Hab nichts über ihn gefunden.

Nur wenige Sekunden später kam ihre Reaktion.

Mist. Wie kann das sein?

Keine Ahnung. Aber dann ist es wohl ein Wink des Schicksals. Vielleicht war er nicht der Richtige.

Oh, Süße, so wie ihr euch angesehen habt, war er das definitiv.

Ihre Antwort bereitete mir Bauchschmerzen. Wie konnte ich nur so blöd sein und vor ihm davonlaufen? Ich meine, er hatte mir Komplimente gemacht, eindeutig mit mir geflirtet … Und wie hatte ich reagiert? Ich war geflüchtet wie die ewige Jungfrau. Und das nur, damit die Leute von ihrer Bürgermeisterin nichts Schlechtes denken sollten. Dabei wusste ich nicht einmal, ob uns jemand beobachtet hatte – und selbst wenn … Durfte man sich als Bürgermeisterin denn nicht gut unterhalten?
Trotzdem … Jetzt hätte ich mich für meine übereilte Flucht in den Allerwertesten beißen können. Aber das half mir auch nicht weiter. Das Einzige, das mir blieb, war, seinen Großvater aufzusuchen – den besuchte er ja angeblich regelmäßig.
Wieder suchte ich nach einem Mr Fletcher, diesmal in Greenwater Hill, aber meine erste Befürchtung hatte sich bestätigt. Es gab hier niemanden, der so hieß. Vermutlich war es also der Großvater mütterlicherseits, und da kannte ich bedauerlicherweise nicht den Nachnamen.
Aber Chloe hatte recht, ich durfte nicht so schnell aufgeben. Ich würde ganz einfach am Montag im Stadtarchiv nachsehen – dort musste ich fündig werden. Und dann würde ich diesem Mann einen Besuch abstatten und … tja, was ich ihm sagen würde, da hatte ich noch keine Ahnung. Aber das konnte ich mir ja noch in aller Ruhe überlegen, denn vor Mittwochabend würde ich die Zeit zu einem Besuch bei ihm nicht finden können.

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