Rezension: Einundachtzig Worte

08:15

Wie versprochen gibt es heute meinen Senf zu Einundachtzig Worte von Elizabeth Joy Arnold:

Klappentext:
Chloe und Nate sind seit einer Ewigkeit verheiratet, als Nate eines Tages ohne Erklärung verschwindet. Alles, was er hinterlässt, ist ein kurzer Brief von einundachtzig Worten. Nate ist in ihre Heimatstadt zurückgekehrt – an jenen Ort, an dem vor vielen Jahren ihr Sohn spurlos verschwand. Ein tragischer Verlust, der Chloes und Nates Leben für immer veränderte und den auch ihr neues Leben und ihre gemeinsame Buchhandlung nicht heilen konnten. Bergen diese einundachtzig Worte die Chance für Chloe, die Vergangenheit endlich zu klären und ihre Liebe zu Nate wiederzufinden?
»Richtig gute Bücher können uns viel über uns selbst beibringen«

Meinung:
Die Geschichte von Chloe und Nate beginnt für den Leser mit einem Brief, der aus einundachtzig Worten besteht.
Nate verschwand von Heute auf Morgen, um seinen demenzkranken Vater zu besuchen, welcher vor kurzer Zeit aus dem Gefängnis entlassen wurde. Eigentlich würde man auf dem ersten Blick denken, dass es doch natürlich ist, dass ein Sohn seinem Vater besuchen und beistehen möchte - doch dem ist nicht so, denn beide hatten sich ein Leben geteilt, was nicht mehr nur an Wahnsinn grenzte und das nicht nur die beiden alleine.

Die Autorin Elizabeth Joy Arnold beginnt mit einem Brief, der anstatt der Beginn einer Geschichte, viel mehr das Rütteln der Vergangenheit darstellt. 
Die Protagonistin Chloe erzählt durch Flashbacks ihre Vergangenheit - von Nate und ihr und seinen Schwester Grace und Cecilia. Seit ihrer ersten Begegnung waren sie unzertrennlich.
Alle drei Geschwister sind Kinder eines strengen und religiösen Pfarrer einer kleinen Gemeinte in der Stadt und einer liebevollen Hausfrau. Der Vater schottet seine Familie durch eiserner Disziplin und Lehren aus der Bibel von der restlichen Welt ab. Deshalb wurden die Geschwister zu Hause von der Mutter unterrichtet. Alles Weltliche war ihnen fremd. 
Sollte sich aber eine Möglichkeit ergeben, dann las die Mutter den Kindern aus Klassikern vor und erschuf Welten wie Narnia. Diese Geschichte stellt den Beginn dar und ist ein wichtiges Fundament dieses Romans. In "Einundachtzig Worte" treten im Verlauf weitere Romane auf, die durch ihre Kerne parallel zu diesem Roman sind und diese somit unterstreichen oder auf etwas hindeuten.
Nate, Grace und Cecilia beschlossen eines Tages, als ihr Vater in der Kirche war und die Mutter sie vom Unterricht befreit hatte, einen Tunnel nach London zu Graben, um den Autor Lewis einige ungeklärte Fragen zu stellen.
Dabei beobachtet Chloe sie, die an diesem Tag acht Jahre alt wurde, was aber ihre alleinerziehende Mutter völlig vergessen hatte und somit beschließt die kleine Chloe, selber ihren Geburtstag zu feiern, indem sie die Schule schwänzt und mit dem Fahrrad durch die Gegend fährt.
Diese erste Begegnung der Vier zeigt mehr als deutlich, wie unterschiedlich sie in der Wahrnehmung und des Denkens sind.
Chloe hat überhaupt keine Ahnung, was die Narnia-Bücher sind, während die Pfarrerkinder glauben, dass der Autor noch lebt und ein Tunel bis nach London zu graben tatsächlich möglich wäre. Doch diese Unterschiedlichkeiten passen perfekt zusammen, denn Nate besitzt eine besondere Gabe, die sie alle zusammenhält und auch glauben lässt: er ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der seinen Zuhörer in diese Welten mitziehen kann. So schafft er es, dass seine jüngere Schwester voller Tatendrang ist, die Große gerne daran glaubt und selber neugierig ist und dass Chloe sich die Geschichte von Narnia anhört und davon verzaubern lässt.
Doch die Kinder müssen schnell sein, denn der Vater darf nichts von Chloes existenz wissen, denn für ihn stellt sie eine Gefahr, dass das kleine, ungläubige Mädchen eventuell die perfekte Fassade, welches er mit aller Macht der Gemeinde zeigt, ins Wanken geraten kann. 

Am liebsten würde ich diesen Roman Satz für Satz analysieren, doch das würde definitiv den Rahmen sprengen - daher komme ich zum Punkt: die Autorin Elizabeth Joy Arnold erzählt mit einer Leichtigkeit, wie Nate, sodass man in ihrer Erzählung wie eine Fliege im Spinnennetz gefangen ist und das Buch am liebsten nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Wärend Flashbacks eigentlich nur von kurzer Dauer sind, rollen diese hier die Lebensgeschichte von Chloe und den drei Geschwistern auf, die eng miteinander verbunden sind. Am Anfang scheint es Absurd, wie die erwachsene Chloe über Nates Handeln denkt und fühlt, doch mit jeder Seite eröffnet die Autorin ein Stück weit mehr von einer Vergangenheit, von der man nicht glauben mag, dass es tatsächlich so etwas gibt, während die Protagonistin im gleichen Moment in der Gegenwart mit diesen Lasten von damals kämpfen muss. Hier sind die Flashbacks so lang und detailiert (ein Vorsteil), dass man die aktiven Entscheidungen von Chloe zur jetzigen Zeit in den Hintergrund rücken, was für mich eine neue und interessante Erfahrung waren, denn so etwas hatte ich zuvor noch nie gelesen. Hinzu kommt, abgesehen vom leichten Schreibstil, die Wortwahl und die Botschaften zwischen den Zeilen der Autorin. Jegliche Handlungen der Figuren erhalten so, abgesehen von der Vergangenheit, eine Tiefe, die mir am Ende den Atem zum Stocken gebracht hat. Darum sage ich an dieser Stelle deutlich, dass weder das schöne Cover, noch der Klappentext einen Aufschluss darüber geben. Sie kratzen lediglich an der Oberfläche. Es ist gigantisch, auch wenn es beim Lesen vielleicht auf den ersten Blick nicht so scheint, doch zusammen mit den Einfädelungen diverser Klassikern (die man hoffentlich kennt, denn sie sind wundervoll) ergibt es ein tolles zusammenspiel. Ebenso möchte ich anmerken, dass "Einundachtzig Worte" eine Homage an die klassische Literatur ist.
Meiner Meinung nach ist das auch ein wichtiger Grund, wieso gewisse Dinge, die im einzelnen Absurd erscheinen, im Ganzen ... nicht einen Sinn ergeben, sondern viel mehr die Handlungen den Figuren ein Stück weit verstehen lässt. Denn im Verlauf werden gewisse Dinge ans Licht kommen, worüber man selber staunt - aber nicht im positiven Sinne. Mich hat es schockiert und an manchen Stellen war es sogar so traurig, sodass ich weinen musste und das ist immer eine Prämiere ;)

Vielleicht kann man bis hier hin schon vermuten, dass ich begeistert bin von diesem Buch - aber nicht ganz.
Ich bin überweltigt! Es besitzt solch eine Tiefe, solche eine Tragik, dass es mich umgehauen hat. Je mehr ich darüber nachdachte und las, desto klarer wurde es und somit eröffneten sich mir neue Türen. Besonders die Anspielungen den Autorin haben mir gefallen. Am liebsten würde ich all die makierten Stellen hier zitieren, dich es sind so viele.
Die Aufmachung und das Einbringen berschiedener Klassikern, wie "Der Prozess" von Kafka, erzeugen eine Welt, die am Ende - meiner Meinung nach - viel zu schnell und viel zu ruppig aufgehört hatte. Es kam mir so vor, als hätte die Autorin plötzlich auf die Bremse gedrückt (oder drücken müssen) und dann mit Vollgas aufs Ende zu gesteuert. Auf einmal wurde es vorhersehbar und das Wissen, dass nur noch ein paar Seiten geblieben waren, ließ die Seifenblase, welches die Autorin wunderbar geschaffen hatte, ruckartig platzen. Schade.
Denoch war es eine umwerfende Reise und deshalb ist mein Fazit: das Buch ist genial und ein fast schon unscheinbarer Schatz, denn man sich auf keinen Fall entgehenlassen darf!
"Einundachtzig Worte" gehört zu Vergiss nicht, dass wir uns lieben von Barbara Leciejewski zu meinen absoluten Lieblingen des Jahres!

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